Van Hoorn „Debatte um die zeitliche Streckung digitaler Stellwerke ist nicht zielführend“

InnoTrans 2024 – DVF-Dialog Forum: „Von der Idee bis zur Umsetzung: Was brauchen wir, um Innovationen im Schienenverkehr voranzubringen?“

26.09.2024

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Van Hoorn „Debatte um die zeitliche Streckung digitaler Stellwerke ist nicht zielführend“

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Berlin, 26. September 2024 – DVF-Geschäftsführerin Dr. Heike van Hoorn hat auf der internationalen Leitmesse für Verkehrstechnik InnoTrans vier Handlungsfelder für eine moderne Schienenwelt von morgen skizziert: „Erstens müssen wir Innovationsspielräume schaffen, beispielsweise indem wir diese in der Ausschreibung überhaupt erst ermöglichen. Zweitens müssen wir Zukunftstechnologien ernst nehmen. Das heißt, auch KI muss bei der Schiene genutzt und Digitalisierung verstärkt werden, z. B. Automatisierung, Digitale Automatische Kupplung, digitale Zwillinge und der flächendeckende Ausbau der Europäischen Zugleit- und Sicherungstechnik ERTMS. Nicht zielführend hingegen ist die Debatte in Deutschland, die Einführung digitaler Stellwerke zeitlich zu strecken. Drittens braucht es verlässliche Investitionszusagen für den Schienenverkehr. Hier helfen Reformen in Richtung Fonds oder Sondervermögen. Und viertens: Ohne Europa geht es nicht. Daher müssen die einheitliche europäische Zulassung gestärkt, die Finanzmittel der Connecting Europe Facility erhöht und durch nationale Förderung flankiert werden.“

Der Senator für Verkehr und Mobilitätswende der Freien und Hansestadt Hamburg Dr. Anjes Tjarks sprach sich ebenfalls für eine stärkere Digitalisierung aus. Wäre das Deutschland-Ticket rein digital gestaltet worden, wäre ein Effizienzgewinn von 500 Millionen Euro möglich gewesen. Tjarks wünschte sich insgesamt weniger Bürokratie, dafür aber eine, die ermögliche. Tjarks machte sich zudem für mehr Investitionsmittel für Infrastruktur stark und führte eine Berechnung des Instituts der Deutschen Wirtschaft an, wonach mit zusätzlichen 600 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren bessere Straßen, Schienen, Schulen und eine Erreichung der Dekarbonisierungsziele erreicht werden könnten. Für das Ziel, bis 2030 30 Prozent mehr S-Bahnen in Hamburg fahren zu lassen, brauche es mehr Planungsmittel für Stellwerke, worüber er sich mit dem Bund seit zwei Jahren streite.

Den Kundennutzen der Digitalisierung zeigte Anna-Theresa Korbutt, Geschäftsführerin Hamburger Verkehrsverbund GmbH, am Beispiel des Deutschlandtickets auf: „Das Deutschlandticket markiert eine tiefgreifende Revolution im öffentlichen Nahverkehr: Ein maximal einfaches digitales Ticket, das unkomplizierten Zugang zu deutschlandweiter Mobilität bietet. Für Gelegenheitsnutzer haben wir im hvv ebenfalls attraktive digitale Lösungen entwickelt: So bündelt die hvv switch-App nicht nur diverse Mobilitätsangebote, sie bietet auch die Check-In/Be-Out-Anwendung ‚hvv Any‘, mit der man immer zum Tagesbestpreis unterwegs ist. Die Digitalisierung eröffnet also große Chancen für noch komfortableres Ticketing und eine einfache Aboverwaltung. Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass eine nationale Ticket-App möglich ist – und hier gilt es, Schritt zu halten.“

Ausschreibungspraxis verbessern – Innovation zulassen

Fabian Amini, Geschäftsführer Averio Deutschland GmbH und DVF-Präsidiumsmitglied, bemängelte wie van Hoorn die rein preisgetriebene Handhabung von Ausschreibungen: „Mehr Innovationsgeschwindigkeit und -anreiz im Schienenverkehr und ÖPNV kann man auf vielen Ebenen angehen. Bei den SPNV-Ausschreibungen in Deutschland sehen wir leider einen aus meiner Sicht kontraproduktiven Trend. Ausschreibungen sind (fast) ausschließlich preisgetrieben, gleichzeitig wird die Wertschöpfungstiefe der Verkehrsunternehmen immer geringer, so haben diese letztlich nur noch die Rolle eines „Beförderers“. Damit die Verkehrsunternehmen nicht nur ihre Verkehrsverträge „verwalten“, wäre mehr Gestaltungsspielraum in den Ausschreibungen für die Bieter wichtig, um den Wettbewerb um die besten Ideen zum Wohle der Fahrgäste fördern zu können.“ Amini schlug vor, Start-Ziel-Lösungen mit Zeitkorridoren auszuschreiben, anstatt festgelegte Verkehre mit vorgegebenen Verkehrsmitteln. So werde die Innovationskraft der Verkehrsunternehmen abgerufen.

Aus Sicht eines Herstellers sagte Markus Fritz, Managing Director / COO Hitachi Rail GTS Deutschland GmbH: „Die Komplexität der vor uns liegenden Herausforderungen im Bereich der Digitalisierung des Systems Bahn und der CO2-Reduktion erfordern global sinnvolle Technologien und Lösungsansätze und lokale Kunden-Nähe gleichermaßen. Dafür braucht man als Unternehmen nicht nur Größe, sondern man muss auch groß denken“. Fritz bestätigte die Kritik von Tjarks bezüglich der Mentalität in Deutschland beim Thema Innovation und KI. Im Ausland agiere man nach dem can-do-Prinzip, in Deutschland nach dem Vorsorgeprinzip. Man sollte die Motivation der Menschen nutzen, in dem innovativen Bereich arbeiten zu wollen, und dafür die Rahmenbedingungen schaffen.

„Denn worum geht es: Die Organisation, Planung und Finanzierung unseres öffentlichen Verkehrs orientiert sich nicht an den Mobilitätsbedürfnissen der Menschen, die in möglichst kurzer Zeit, mit möglichst wenigen Hemmnissen und zu angemessenen Kosten zum Ziel kommen wollen. Sie wählen die Verkehrsmittel, die hierfür am besten geeignet und am günstigsten sind und unterscheiden nicht zwischen Individual- und öffentlichem Verkehr oder Bus und Bahn. Deshalb braucht es integriert geplante und finanzierte Mobilitätskonzepte, die nicht zwischen den Verkehrsträgern sowie Individualverkehr und öffentlichem Verkehr unterscheiden.“

Vom Kunden her denken

Auch Ulf Braker, Geschäftsführer Technik Transdev GmbH, plädierte wie Fritz für den Fokus auf die Kunden. Danach seien auch kleine Verbesserungen Innovationen, die dem Fahrgast Nutzen stiften würden. Davon gebe es in Europa viele, sei es bei den standardisierten Spurbreiten oder harmonisierten Spannungen. Braker wünschte sich eine zeitgemäße digitale Trassenanmeldung sowie eine gemeinsame europäische Vision. .

Josef Doppelbauer, Direktor Europäische Eisenbahnagentur, erklärte, dass Deutschland mit 31,3 Prozent den größten Anteil am europäischen Bahnnetz habe. Frankreichs Bahnnetz habe als zweitgrößtes Netz in der EU nur ein Drittel vom deutschen. Das Innovationsproblem bestehe in zweifacher Hinsicht: Zum einen wolle jeder sein eigenes System entwickeln und zum anderen habe man ein dynamisches Netz, wo jeder Eingriff sich auf die anderen Teilnehmer auswirke. Doppelbauer forderte daher standardisierte Produkte und Kompatibilität, um Interoperabilität zu erreichen. Große Innovationen wie die Digitale Automatische Kupplung (DAK) seien zudem langlebig und müssten standardisiert und kompatibel sein. Die Bahn habe gegenüber der Straße einen Kostennachteil. Pro Tonnen Km würden sich die Kosten der Straße nur auf ein Zehntel der Schiene belaufen. Innovation könne zur Kostensenkung auf der Schiene beitragen.

Martin Ertl, Bereichsleiter Innovation und Portfolio Management Knorr-Bremse Systeme für Schienenfahrzeuge GmbH, verwies darauf, dass der Return on Investment ROI zwischen 10 und 15 Jahre dauere. Diese Zeitspanne müsse vorfinanziert werden und könne nicht von einzelnen Unternehmen getragen werden, schließlich habe die DAK auch einen gesellschaftlichen Benefit.

Man müsse von den alten Technologien wegkommen, forderte Jörg Nowaczyk, Chief Commercial Officer GATX Rail Germany GmbH. Innovationen würden höhere Durchschnittsgeschwindigkeiten auf dem Netz ermöglichen. Der Einsatz der DAK werde nicht nur länder- sondern auch branchenspezifisch unterschiedlich bewertet. Insgesamt sei jedoch der Güterverkehr hinsichtlich der internationalen Intermodalität in den letzten 15 Jahren besser geworden.