Mobilität für Deutschland - Pressespiegel

Welt am Sonntag

"Zeit ist hier ein anderer Faktor"

Die "Johannes von Nepomuk" fährt in die Schleuse gleich hinter Ochsenfurt auf dem Main ein. Das Binnenschiff ist 185 Meter lang und 10,70 Meter breit. Die Schleusenkammer misst mit zwölf Metern Breite nur wenig mehr. Für Kapitän Topias Zöller zählt jeder Zentimeter, um nicht mit den Reibhölzern an den Bordwänden gegen den Beton der Kammerwände zu kratzen. (...) So geschäftig die Szene in der Schleuse auch ist, die Binnenschifffahrt generell führt ein Schattendasein innerhalb des Gütertransports in Deutschland. Rund 130 Schleusen und 70 Wehranlagen in den fast 7500 Kilometer langen deutschen Flüssen und Kanälen sowie 160 Brücken darüber sind laut Bundesverband der Binnenschifffahrt marode. Doch Geld vom Staat gibt es wenig. Seit vielen Jahren schon findet die Branche - mit ihren gerade einmal 4250 Beschäftigten - in der Verkehrs- und Wirtschaftspolitik des Landes kaum Unterstützer. Die Straße oder das Schienennetz haben Vorfahrt. (...)

Im Unterschied zu Straße und Schiene hat die Binnenschifffahrt noch Kapazitäten frei. Das gilt sowohl beim vorhandenen Frachtraum der Flotte von 1950 Schiffen als auch auf den längst nicht ausgelasteten Flussstrecken. Zigtausend Lkw könnten theoretisch von den Straßen geholt werden: Ein Binnenschiff kommt auf eine Lademenge von mehr als 3000 Tonnen und ersetzt die Fracht von bis zu 150 Trucks. (...)

Ohne intensive Nutzung des Schiffstransports im Inland werde die Verkehrswende nicht gelingen, sagen Experten. Das Bundesverkehrsministerium schrieb schon 2019 in seinem "Masterplan Binnenschifffahrt": "Nur wenn wir die Binnenschifffahrt modernisieren und mehr Güter auf die Wasserstraßen bringen, können wir erreichen, dass in Deutschland weniger CO2, weniger NOx und weniger Feinstaub ausgestoßen werden." Ein möglicherweise teures Vorhaben: "In einem ersten Schritt muss der Bund jährlich zwei Milliarden Euro in den Erhalt, Ausbau und Neubau der Binnenwasserstraßen investieren", sagt Florian Eck, Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums. In der Vereinigung sind Verbände, Unternehmen und Wissenschaftler vertreten, die sich mit Logistik befassen. Wenn dies gelinge, könne die Binnenschifffahrt die Transportmengen im Jahr mindestens verdoppeln. Doch derzeit stünden die Schiffer im toten Winkel der Politik. "Reaktionen gibt es erst, wenn die marode Infrastruktur die Schiffe zu Langsamfahrten oder gar zum Stillstand zwingt", sagt Eck. (...)