Digitalisierung der Schiene ist europäische Aufgabe

Die Digitalisierung der Schiene ist nicht nur eine nationale Angelegenheit. Sie ist eine europäische, denn es besteht die Verpflichtung, zunächst die wesentlichen Verkehrskorridore auszubauen und später das gesamte Netz. Aktuell wird die neue Verordnung über die Transeuropäischen Netze (TEN) diskutiert. „Die EU will mehr Tempo bei der Digitalisierung“, erklärte Mattias Potrafke, Referatsleiter Digitalisierung Eisenbahnen im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV). „Noch wird diskutiert, wie und wo beschleunigt werden kann, auch bei der Straße oder der Binnenschifffahrt. Zum 1. Januar 2024 soll die neue TEN-Verordnung in Kraft treten“, so Potrafke.

Bei der Schiene sei der Ausbau des Europäischen Zugsicherungssystems (ETCS) eine grundlegende Voraussetzung, um die Digitalisierung der Schiene voranzubringen, vor allem für den automatisierten Betrieb. Zur Ausrüstung mit ETCS gebe es das sogenannte Starterpaket mit drei Projekten: Der Güterverkehrs-Korridor Skandinavien – Mittelmeer, die Schnellfahrtstrecke Köln - Rhein/Main und der digitale Knoten Stuttgart. Der digitale Knoten Stuttgart solle 2025 fertig sein, der Güterverkehrskorridor und die Schnellfahrtstrecke bis 2030. Auf Basis dieser Erfahrung solle der Rollout im Netz erfolgen.

„Für alle Projekte müssen die Planungskapazitäten, die Werkstätten und qualifiziertes Personal zur Verfügung stehen. Dabei sind alle gefordert, den Prozess mitzugestalten. Wir stehen vor einer Gemeinschaftsaufgabe.“

Mattias Potrafke

Deutschlandtakt schafft Kapazitäten

Deutschlandtakt schafft Kapazitäten

Bild Quelle: DB Netz AG, Phillip Nagl

Um den Deutschlandtakt umzusetzen, seien signifikante Neubaustrecken notwendig, erklärte eingangs Dr. Volker Hentschel, Leiter Konzernprogramm Digitale Schiene Deutschland, DB Netz AG. Mit dem Deutschlandtakt ließen sich auf manchen Strecken Fahrzeitverkürzungen von 20 Prozent erreichen. Vor allem aber sollten die Züge im Fernverkehr im Halbstundentakt fahren. Hierfür fallen Stuttgart 21 wesentliche Aufgaben zu: Zum einen der Ausbau des Knoten Stuttgarts als ein zentraler Punkt im Deutschen Schienennetz und die gleichzeitige Digitalisierung des Schienenverkehrs in der Region Stuttgart. Erstmals sollen dann Züge ohne ortsfeste Signale fahren. Ab 2026 ist geplant, dass die S-Bahn automatisiert fährt  und ab Ende 2026 der Halbstundentakt gilt.

Ein weiterer wichtiger Baustein ist, die Zulassungsprozesse zu beschleunigen.

„Die Zulassung eines sogenannten First-of-Class-Fahrzeuges mit ETCS-Ausrüstung dauert zwischen 36 und 54 Monaten."

Dr. Volker Hentschel,

"Rund 170 Baureihen sind in Deutschland unterwegs. Sollte sich an den Zulassungszeiten nichts ändern, würde das 100 Jahren dauern. Dasselbe gilt für die Infrastruktur“, so Hentschel. Die Umrüstung eines First-of-Class-Fahrzeugs dauere zwischen sechs Wochen und drei Monaten. Dafür sei eine Förderung und Koordinierung im Sektor notwendig sowie eine langfristige Finanzierungssicherheit.

Hentschel erläuterte zuletzt das weitere Vorgehen bei elektronischen Stellwerken und ETCS Level 2. Ab 2028 könne die Inbetriebnahme erfolgen, damit laufe der Betrieb schneller und effektiver. Bis dahin müssten aber auch die Fahrzeuge ausgerüstet sein. „Der Umstieg auf ETCS muss schnell erfolgen, weil ein Großteil des Hochleistungsnetzes bis 2030 mit der neuen Technik ausgerüstet sein muss. Der der Rest des Netzes bis 2040“, sagte Hentschel.

Digitalisierung muss nicht Jahrzehnte dauern

Huschke Diekmann, Geschäftsführer, KONUX GmbH, zeigte sich überzeugt, dass die Digitalisierung keine zehn und mehr Jahre brauche, um sie anzuwenden.

“Es ist notwendig, nicht immer nur Pilotprojekte zu starten. Man sollte über den Weg zur Kommerzialisierung und den Wert der Digitalisierung in realen Betriebsabläufen nachdenken."

Huschke Diekmann

"Außerdem ist es wichtig, kein zu enges 'heutiges Problem' zu definieren, sondern nach dem richtigen Partner für die Digitalisierungsaktivitäten zu suchen, jemandem, dem man vertrauen kann, dass er auch langfristig innoviert und verbessert. Wir haben bei Konux mit Weichen begonnen und arbeiten nun auch in den Bereichen Network und Traffic.“

KONUX installiert IIoT-Einheiten an den Weichen und nutzt sie zur Messung ihres Zustands. Ziel ist es, Wartung und Betrieb für den Betreiber zu optimieren. Bislang hat KONUX Daten von über 70 Millionen Zugdurchfahrten aus aller Welt gesammelt. Die Wartung lässt sich mit diesen Messdaten deutlich optimieren. "Bereits heute sind wir soweit, dass die DB unsere Lösung einsetzt, nachdem sie ihre Qualität und ihren Wert verifiziert und wir ein gemeinsames Verständnis der Ziele erreicht haben. Wir wollen dies nutzen, um die Kapazitäten des Schienennetzes für eine nachhaltige Zukunft zu optimieren“, sagte Diekmann.

Organisationsstrukturen im „System Stadt“ reformieren

Organisationsstrukturen im „System Stadt“ reformieren

Bild Quelle: Benz und Walter GmbH

„Es gibt keine analytischen Datenplattformen, die Echtzeitdaten sammeln, zusammenführen und mit geringer Latenzzeit auswerten können."

Dr.-Ing. Michael Benz,

"Auch personelles Know-How und Kapazitäten fehlen. Daher findet die Verkehrsplanung immer noch modell- anstelle von datenbasiert statt“, beschreibt Dr.-Ing. Michael Benz, Geschäftsführender Gesellschafter und COO, Benz + Walter GmbH, den Status Quo. Doch um auf Herausforderungen im städtischen Verkehr reagieren und eine mittel- und langfristig wirksame Mobilitätsstrategie erarbeiten zu können, seien Echtzeitdaten nötig. Diese Daten müssten bei einer neutralen Instanz zusammenlaufen und unter Einsatz automatisierter Tools ausgewertet werden.

Christian Schmidt, Fachbereichsleiter Systemtechnik NT32, Stadtwerke Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main mbH (VGF), zeigte am Beispiel der Stadt Frankfurt, welchen Mehrwert datenbasierte Lösungen etwa bei Energieeinsparungen oder Kapazitätserweiterungen durch Taktverdichtungen bieten können. Digitale Lösungen müssten dabei europäisch standardisiert und harmonisiert sein.

„Das Ziel sollte sein, eine zukunftsfähige zentrale Systemlandschaft aufzubauen, Datensilos proprietärer Systeme zu verknüpfen und eine zentrale Bereitstellung von Echtzeitdaten zu realisieren.“

Christian Schmidt

Der Erfolg datenbasierter Lösungen hänge von der Zusammenarbeit der beteiligten Stakeholder ab. Insgesamt böten sich Mobilität und Logistik für die Umsetzung datenbasierter Lösungen gut an und seien eine gute Ausgangsbasis für die Smart City-Strategie einer Stadt.

Unterschiedliche Digitalisierungsniveaus bei Verkehrsunternehmen und Anwendungen auf Smartphones sind Hürden

Durch Digitalisierung können Effizienzsteigerungen, bessere Verlässlichkeit, höhere Taktung und passende Anschlussverbindungen geschaffen werden. Diesen Digitalisierungsschatz gelte es zu heben, so Stefan Gelbhaar MdB, Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag sowie ordentliches Mitglied im Verkehrs- und Digitalausschuss. Sowohl für den Güterverkehr als auch im Personenverkehr könne dadurch die Mobilitätswende beschleunigt werden. Dabei biete nicht zuletzt der Stadtverkehr gute Voraussetzungen für digitale Einsatzsfelder, um das ÖPNV-Angebot zu optimieren, zu ergänzen und damit attraktiver zu machen. „Insbesondere hier sind on-demand-Angebote sinnvoll. Um diese Angebote jedoch überhaupt abrufen zu können, werden regelmäßig etwa Smartphones gebraucht. Das umreißt, was als Grundbedingung geschafft werden muss: um diesen Schritt der Digitalisierung gehen zu können, müssen Barrieren identifiziert und eliminiert, Einstiegsangebote geschaffen werden - nicht nur, aber auch um z.B. ältere Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen“, so Gelbhaar.

Doch es gebe Hürden bei der vernetzten und digitalen Mobilität: Zum einen die Verfügbarkeit eines oder mehrerer Frontends, die alle benötigten Informationen und Funktionen nutzerfreundlich zusammenführen. Zum anderen bedarf es der Bereitstellung aller erforderlichen Mobilitätsdaten: Hier seien die unterschiedlichen Digitalisierungsniveaus bei den Verkehrsunternehmen, die teilweise mit privaten Subunternehmen zusammenarbeiten, eine Herausforderung.

"Den privaten Unternehmern sollten wir den Mehrwert einer Datenbereitstellung transparent machen und Förder- und Anreizsysteme schaffen.“

Stefan Gelbhaar MdB

Im Spannungsfeld zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen sei die rechtliche Fragen zu klären, wer zur Datenbereitstellung verpflichtet werden könne. Gelbhaar zeigte sich optimistisch, dass Personen für einen Umstieg auf das kombinierte Angebot von ÖPNV und Carsharing zu gewinnen sind, wenn dieses leicht zugänglich wäre. Damit könne ein hoher Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden.

Auswirkung der Digitalisierung auf den Treibhausgaseffekt

Auswirkung der Digitalisierung auf den Treibhausgaseffekt

Bild Quelle: DVF

DVF-Geschäftsführer Dr. Florian Eck zeigte die Potenziale der Digitalisierung zur Minderung von Treibhausgasemissionen im Verkehrsbereich auf. „Es gibt ein breites Angebot an Digitalisierungslösungen, die bereits heute umgesetzt werden können."

"Im Nahverkehr kann durch Automatisierung und Communcaiton-Based Train Control (CBTC) 15 bis 20 Prozent Energie eingespart werden, das sind für die größeren Metropolen mehr als 200 Gigawattstunden (GWh) jährlich, für die Berliner S-Bahn mehr als 60 GWh.“

Dr. Florian Eck

Weitere Maßnahmen sind unter anderem Mobilitätsplattformen, ein digitaler Zwilling der Verkehrsnetze, ein digitalisiertes Parkraummanagement als öffentlich-private-Partnerschaften (ÖPP) und die Digitalisierung der Zulassungsprozesse, damit Innovationen schneller in den Markt kommen. Gerade im Bereich der Daseinsvorsorge der öffentlichen Hand liegt das Problem in den fehlenden Anreizen der öffentlichen Haushalte: „Der Staat spürt im Gegensatz zu Unternehmen die Kosten der Nicht-Digitalisierung nicht und investiert daher unzureichend in digitale Systeme und Schnittstellen.“